Welzel

Paulina Mihai “20 Jahre in Berlin”

Ohne Frage – diese Ausstellung ist etwas Besonderes. Zum einen beginnt mit ihr ein neues Kapitel in der Geschichte der Condat-Galerie: Durch den Umzug in das neue Condat-Haus hat die Condat-Galerie ein neues Wirkungsfeld, einen neuen Aktionsradius –  kurzum – neue, weiße Wände erhalten, die es zu entdecken und zu erobern gilt. Zum anderen stellt das heutige Ausstellungsereignis ein markantes Jubiläum dar: Vor 20 Jahren kam die renommierte Malerin Paulina Mihai von Bukarest nach Berlin, wo sie seitdem lebt und arbeitet. Für die Condat-Galerie ist es eine große Ehre, dieses Berlin-Jubiläum von Paulina Mihai, die 1974 die Kunstakademie in Bukarest absolvierte und seit den frühen 1970er Jahren weltweit an vielen Ausstellungen teilgenommen hat, ausrichten zu dürfen.

Die hier präsentierten Bilder von Paulina Mihai überfluten wie farbige Wogen die Sinne des Betrachters und werden zu einem betörenden Meer aus Farbe, das stürmisch-expressiv und dennoch ruhig und ausgeglichen wirkt, das klar ist und dennoch geheimnisvolle Untiefen kennt, das polychrom bewegt und dennoch monochrome Strudel hat. Vielleicht hat die Malerin mit diesem rauschenden Farbenmeer ihre Impressionen von einem südlichen Land mitgebracht –  vielleicht hat sie damit aber auch ein Stück ihrer rumänischen Heimat mitgebracht –  ein Stück dieses auf die römische Provinz Dakien zurückgehenden Landes am Schwarzen Meer – ein Stück dieses hier immer noch etwas unbekannten, südosteuropäischen Landes mit seinen heißen und trockenen Sommern.

In Paulina Mihais Farbenmeer begegnen wir immer wieder einem Blau, das mal an den sphärisch-luftigen Sommerhimmel, mal an erfrischend kühles Wasser erinnert, einem erdigen Grün, das nach saftigem Moos und Laub riecht, einem Gelb und Orange, das die Wärme der Sonne und den Duft der Südfrüchte atmet, einem hölzernen Braun, das die Bäume und Gehölze tragen, einem rostigen Rotbraun, das ausgetrockneter, verbrannter Erde gleicht, und einem steinernen Grau, aus dem die Felsen und Berge sind. Dazwischen immer wieder schwarze Linien, die vielleicht auf die Traditionen der heute immer noch hoch entwickelten rumänischen Ikonenmalerei zurückgeführt werden können. Doch anders als bei den heiligen Kultbildern ziehen diese schwarzen Linien keine strengen, statischen Konturen. Eher wie Flüsse, die auftauchen und wieder verschwinden, oder wie natürliche Grenzen, die immer wieder durch – und unterbrochen werden, schlängeln sich die schwarzen Linien durch das Farbenmeer, rhythmisieren und strukturieren es.

Paulina Mihai ist eine Malerin der Farbe. Sie denkt, sie lebt, sie sieht, sie fühlt, sie träumt, sie erinnert sich in Farbe. Sie lässt sich von der Farbe führen und lenken. Sie prüft, ob die Leinwand die Farbe tragen kann, ob der Leinwand die Farbe steht, ob die Farbe die Leinwand kleidet. Die Farbe ist bei Paulina Mihai das A und das O  der Anfang und das Ende.

Diese einmaligen Farbträume münden in gegenstandslose Bildwelten, die frei von den strengen Gesetzen und Auflagen der Mimesis – dieser sklavenhaft nachahmenden Darstellung der Natur – sind. Doch dennoch ist die Natur in den abstrakten Farbformationen von Paulina Mihai allgegenwärtig. Sie hinterlässt fragmentarische Spuren, sie gibt Raum für Assoziationen, Interpretationen und Spekulationen: Sind es nicht Landschaften, die uns Paulina Mihai mit ihren Bildern zeigt? Sind es nicht Landschaften mit grünen Tälern, mit steinigen Felsgebilden, mit Flüssen, mit Wasser, mit Luft? Sind es nicht Landschaften, die ganz entfernt, unscharf und reduziert erfasst worden sind  – wie aus der schwindelerregenden Perspektive eines immer höher steigenden Flugzeugs oder wie aus dem sich immer weiter entfernenden Sog der Träume und Erinnerungen?

Vielleicht sind es gesehene, vielleicht sind es erdachte, vielleicht sind es erträumte Landschaften. Aber auf jeden Fall sind es tief verinnerlichte Landschaften, die durch den Kodex der Malerei zu faszinierenden Bildlandschaften werden. Dies veranschaulicht der Bildaufbau mit seinen Brüchen, mit seinen Höhen und Tiefen, mit seinen unterschiedlichen Räumen, die der Bildfläche entlockt werden. Dies veranschaulicht der Duktus, der sich frei und in natürlicher Ungezwungenheit bewegt. Dies veranschaulicht die grobe Faktur, das haptische Farbmaterial, das immer wieder an sandigen Boden, an verkrustete Erde und steinige Felsen erinnert.

Mit diesen eigenständigen Bildlandschaften, die gesehen, gefühlt, gedacht und immer wieder aufs Neue entdeckt werden können, erfüllt Paulina Mihai auf ihre besondere Art die damals zu seiner Zeit modern anmutende Forderung von Eugène Delacroix (1798-1863), nach der Bilder in erster Linie ein Fest für die Augen sein sollen.

Zu einem einmaligen Fest für die Augen möchte diese Ausstellung Sie nun herzlich einladen.

Heike Welzel
Condat-Galerie
Juli 2001

Rede zur Eröffnung der Ausstellung “Paulina Mihai – 20 Jahre in Berlin”
in der Condat-Galerie, Berlin
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